Mir fällt grad auf, dass zig Leute darauf warten, dass ich mich endlich melde.
Aber irgendwie mag ich mich grad nicht melden. Ich schieb das schon Wochen vor mir her. Bei manchen zwei, bei manchen drei, bei manchen eine und bei manchen noch länger... Hach...
Das bedeutet nicht, dass ich sie alle weniger mag oder so, nein. Ich weiß auch nicht, warum ich grad nicht will und ich hab ein sauschlechtes Gewissen...
Morgen muss ich mal anfangen. Müssen hört sich so doof an. Eigentlich muss ich ja gar nix, aber... doch. Irgendwann muss man aufhören, vor sich her zu schieben. Punkt!
Eine Nacht, auf der ich schweißgebadet aufwachte, liegt hinter mir. Mit einem Traum, der mich noch immer nicht loslässt...
Irgendwas hatten meine Tante und mein Onkel damit zu tun, ich weiß nicht mehr was, ich weiß nur, dass ich anfangs bei ihnen war.
Danach bin ich gegangen und fand mich im Wald auf einer Lichtung wieder. Dort waren hoch in den Ästen der Bäume, die um die Lichtung standen, Ketten gespannt, die in der Mitte zusammen liefen, fast, wie ein Spinnennetz.
Von der Mitte, wo die Ketten aufeinander trafen, hing eine lange Kette mit Haken herunter, an denen man eine Kuh zum Sterben aufgehängt hatte. Ich wollte ihr helfen, aber ich konnte nichts machen. Ich weiß nicht, warum ich dort blieb und dem ganzen Spektakel zusah, aber irgendetwas in mir sagte mir, dass genau das meine Aufgabe wäre.
So saß ich dort und blickte auf die Kuh, die ganz ruhig dort hing und sich nicht mehr wehrte.
Irgendwann, ganz langsam schloss sie die Augen und starb.
Aber ich konnte immer noch nicht gehen. Meine Aufgabe, das wusste ich, war noch nicht zu Ende, auch wenn ich immer noch nicht wusste, was meine Aufgabe denn eigentlich war.
Ich begann die Lichtung zu säubern. Zwischendurch sah ich die Kuh traurig und mitleidig an. Es war so eine Gemeinheit, deren Zeuge ich da gewesen war.
Danach saß ich Stundenlang unter einem Baum an den Stamm gelehnt.
Irgendwann, ich glaubte, ich träume, öffnete die Kuh die Augen. Ganz langsam rollten sie hin und her. Kurze Zeit später bewegte sie auch den Kopf und noch etwas später zappelte sie wie wild.
In meinen Gedanken schrie ich irgendwen an: "Die Kuh lebt doch noch, sie lebt doch noch!!!"
Die Antwort, die ich in meinem Kopf hörte, war: "Nein, das sind nur die letzten Zuckungen der Nerven..."
"Nein", schrie ich. "Sie lebt. Sie lebt, wir müssen ihr helfen!!"
"Nein!!! Sie ist tot!" war die Antwort.
Ich konnte nicht fassen, was da geschah. Diese Kuh kämpfte wie von Sinnen, während sie dort an der Kette hing und niemand wollte mir helfen, sie dort runter zu holen.
Ich begann zu weinen und versuchte, diese Ketten endlich abzukriegen, aber sie waren zu fest. Es ging einfach nicht.
Die Kuh wurde immer verzweifelter. Ich konnte irgendwann nicht mehr in ihre Nähe gehen, sie hätte mich töten können vor Panik.
Also setzte ich mich wieder an den Rand der Lichtung.
Aus irgendwelchen Gründen war die Kette plötzlich mal länger und mal kürzer. Die Kuh konnte zwischendurch mal im Kreis traben, dann wieder baumelte sie weit oben.
In ihrer Verzweiflung verhedderte sie sich irgendwann völlig.
Plötzlich war die Kette auch keine Kette mehr, sie war elastisch. Und wie beim Bungee-Juming schnellte die Kuh in einem Affenzahn von oben nach unten und wieder hoch. Jedesmal, wenn sie auf den Boden traf, krachte es laut und ich dachte, sie hätte sich alle Knochen gebrochen. Aber das schien nicht zu stimmen, sie strampelte genau so wie vorher.
Sie muhte, aber ich konnte einfach nichts tun.
Ich versuchte stattdessen weiter, die Lichtung sauber zu kriegen. Und den Zirkel, den sie in den Boden gestampft hatte, von Ästen und Blättern zu befreien.
Plötzlich krachte sie erneut auf den Boden, nur ein paar Zentimeter neben mir. Es wurde für mich immer gefährlicher. Immer öfter musste ich in Deckung gehen.
Irgendwann hielt die Kuh inne und pinkelte von oben einen wahren Sturzbach ins hohe Gras. Es spritze auch in meine Richtung, und wenn ich durch das Gras lief, spürte ich die Nässe an meinen Beinen, die in einer kurzen Hose steckten.
Aber von diesem Moment an war ich an zwei Orten. Auf dieser Lichtung und in meinem Zimmer, wo der blaue Teppich von Kuh-Pippi schwamm und alles drumrum vorllgespritzt war. Lichtung - Zimmer - Lichtung - Zimmer - immer hin und her. Bis ich schließlich in meinem Zimmer war und blieb und nicht mehr zurück konnte.
Ich hatte nichts für die Kuh tun können, begann mein Zimmer zu reinigen und verstand die Welt nicht mehr...
Es war grauenhaft. Ich seh die verzweifelten Kuhaugen immer noch vor mir. "Hilf mir" flehten sie. Aber ich konnte ihr nicht helfen.